Am häufigsten gestellte Frage


Liest sich auf der Website ja alles schön, aber es gibt 1000 andere Websites von studierten Psychologen, oder Ex-Firmenvorständen.
Was würdest du denn schon wissen? Was ist den für mich drin? Welchen Mehrwert hätte ich von dem Buch?

Walter Hummer, Filmkritiker für Fantastic Movies und Cine Preview, hat das Buch gelesen und für mich ein Vorwort geschrieben:

“Eigentlich mag ich keine Erfahrungsberichte überwundener Krisen“. Dieser Satz ging mir bereits durch den Kopf, bevor ich Ramón Kempins Buch gelesen habe. Er ging mir auch als erster durch den Kopf als ich darüber nachgedacht habe, eine Rezension zu „Lebenswogen“ zu schreiben.

Seit meiner Jugend bin ich begeisterter Leser. Und meine Interessen sind breit gefächert. Ich lese sowohl Belletristik als auch Sachbücher und immer mal wieder auch Lyrik. Aber ich konnte nie viel anfangen mit Büchern von einarmigen Asthmatikern, die alleine über den Atlantik gerudert sind oder den Lebensbeichten ehemaliger cracksüchtiger Serieneinbrecher, die nach vielen Rückschlägen ihre Bestimmung darin gefunden haben, frischgeschlüpfte Meeresschildkröten auf ihrem Weg zum Wasser vor Möwen zu schützen.

Aber Ramón Kempins Buch ist anders als Erfahrungsberichte. Schon mal, weil der Autor mir bereits im Vorwort die Augen öffnet. Ganz nebenbei erfahre ich, warum ich eigentlich keine Erfahrungsberichte überwundener Krisen mag. Denn bereits im Vorwort schreibt Ramón Kempin „Vielen Personen fällt es schwer, ihren Arsch von der Couch hochzubekommen. Mir fällt es gerade schwer, zu stehen. Trotzdem habe ich mir vorgenommen, an der bayerischen Meisterschaft im Bodybuilding, in der Men‘s Physique Klasse teilzunehmen - sobald es eben geht.“

Bereits in diesen drei Sätzen steckt so vieles. Der Autor macht sich nicht lustig, über die Menschen deren Probleme nicht annähernd mit seinen vergleichbar sind und die trotzdem Mühe haben, sich zu motivieren. Er stellt einfach fest, dass es dieses und jenes gibt. Vielen Menschen geht es so, ihm geht es gerade ganz anders. Verschiedene Menschen stecken in verschiedenen Lebenssituationen und gehen unterschiedlich damit um. So ist das Leben.

Und Ramón Kempin beschreibt, sich etwas vorgenommen zu haben. Das ist gut. Der Autor verbreitet nicht gleich eine dieser nervtötenden „Tschaka! Du schaffst es!“-Botschaften. Nein, er hat sich bloß etwas vorgenommen. Er hat sich ein Ziel gesetzt. Im Verlauf des Buches erfahren wir, wie wichtig Ramón dieses Ziel ist, wie wichtig Ziele ihm immer waren und wohl immer sein werden.

Aber Ramón setzt sich nicht nur ein Ziel. Er fügt einen wichtigen Nebensatz hinzu. „sobald es eben geht“. Dieser Mann mit diesem starken Willen lebt immer in der Realität. Und sein Buch wird diese realistische Einstellung wiedergeben. Im Verlauf des Buches wird Ramón es nie so darstellen, als hätte die Realität sich seinem eisernen Willen gebeugt. Er wird nie ignorieren, wie oft er Glück auch im Unglück hatte. Er wird immer wieder beschreiben, wie viel er anderen Menschen zu verdanken hat.

Wenn ich eigentlich keine Erfahrungsberichte, dann sicher auch weil ich einer dieser Personen bin, denen es schwer fällt „ihren Arsch von der Couch hochzubekommen“. Und vermutlich auch, weil ich mir kaum noch Ziele setze, sondern nur reagiere auf das was in meinem Job, meinem Privatleben und meiner Umwelt alles so passiert. Im Stillen darauf zu hoffen, dass alles so weiterläuft wie bisher und vielleicht sogar irgendwann besser wird, ist kein Ziel. Das ist nicht einmal besonders realistisch. Denn selbst wenn einem Schicksalsschläge, wie die von Ramón Kempin erlebten, erspart bleiben, muss man doch akzeptieren, wie schnell sich das Leben eines jeden Einzelnen und das von uns allen ändern kann und wird.

Ramón Kempin und ich haben kaum etwas gemeinsam. Er ist noch jung, ich nicht mehr. Er hat den Körper einer Renaissancestatue, meiner würde nur abstrakte Künstler inspirieren. Ramón setzt sich Ziele und arbeitet an ihrer Umsetzung, ich reagiere. Und obwohl Ramón in seinem Buch vor allem seine eigene Geschichte beschreibt, gelingt ihm das Kunststück, mich trotzdem direkt anzusprechen. Wenn der Autor mich, einen unsportlichen Mann in mittleren Jahren, anzusprechen vermag, kann ihm das vermutlich mit fast jedem und jeder Leser*in gelingen.

Zum Schluss noch ein wichtiger Punkt, der „Lebenswogen“ zu einer interessanten Lektüre macht und dieses Buch von anderen Erfahrungsberichten überstandener Krisen unterscheidet. In unserer modernen Zeit, ist ein wichtiges Konzept ein bisschen in Vergessenheit geraten. Es ist die Idee, dass man im Leben auch mal etwas überstehen muss. Wenn John Lennon recht hatte und das Leben das ist, was passiert während man damit beschäftigt ist, andere Pläne zu machen, dann muss man manchmal auch etwas aushalten können. Aber John Lennon ist vor langer Zeit von uns gegangenen. Und auch die Idee, man müsse manchmal etwas aushalten können, ist nicht mehr sehr lebendig. Der moderne Mensch muss sich immer wohlfühlen, darf nie unzufrieden sein. Alles, was uns weniger als sofort glücklich macht, ist schlecht und daher gleich abzulehnen. Weil Ramón Kempin bei all seiner Willensstärke und all seinem Ehrgeiz immer realistisch bleibt, vermittelt sein Buch auf unaufdringliche Weise auch diese altmodische Idee, dass man Dinge, auf die man keinen Einfluss hat, eben leider manchmal aushalten und überstehen muss. „All things must pass“, wie Lennons Bandkollege George Harrison zu sagen pflegte. Damit zu hadern, würde nur zusätzliches Leid erzeugen.

„Lebenswogen“ ist ein Buch von Schmerz und harter Arbeit, von Verlust und Erfolg. Man kann es als Erfahrungsbericht lesen, aber auch wie einen Roman. Teilweise ist es ein philosophisches Werk und stellenweise liest es sich wie eine Vorlage für eine Fernsehserie. Man kann mit Ramón Kempin mitfühlen, kann sich von seiner Geschichte begeistern oder sogar motivieren lassen. Man kann aber auch im Stillen über vieles nachdenken. Nicht nur über Ramóns Leben, sondern auch über das eigene Leben und wie man es leben möchte. Mehr kann man von einem Buch kaum verlangen.

Walter Hummer
25.01.2023